8 Dinge, die ich bei der Entwicklung von Thalara gelernt habe

(The English version of this article is available on BoardGameGeek)

Wer mein Entwicklertagebuch gelesen hat, der ahnt es schon: Ich habe bei der Arbeit an Thalara eine Menge über Spieldesign gelernt. Die wichtigsten 8 Punkte habe ich für euch zusammengefasst.

1: Jede Idee war schon mal da

Ob Siege Storm oder Dominion: Ähnlichkeiten mit anderen Spielen darf man spüren.

Klar, natürlich soll das neue Spiel einzigartig sein. Aber das ist gar nicht so einfach: Jedes Thema, jede Spielmechanik, alles war auf irgendeine Weise schon mal da. Das Problem dabei: Jedes Jahr erscheinen unendlich viele neue Spiele, und es ist nahezu unmöglich, sie alle zu kennen – geschweige denn, sie alle zu spielen. Also habe ich jedesmal, wenn ein neues Spiel Gemeinsamkeiten mit Thalara hatte, wieder alles über den Haufen geworfen. Dabei ist das gar nicht nötig, solange es trotzdem genug einzigartige Elemente gibt. Es gibt auch schon unzählige Love-Songs da draußen, trotzdem landen jedes Jahr wieder welche in den Charts. Diese Erkenntnis hat mich sehr viel Zeit gekostet – mach nicht den gleichen Fehler! Thalara ist ein wirklich einzigartiges Spiel, aber Gemeinsamkeiten finden sich überall. Thalara ist wie Smash Up, aber fast ohne Glücksfaktor. Thalara ist wie Magic: The Gathering, aber viel einfacher. Thalara ist wie Dominion, aber ohne Deckbuilding (wie ist das überhaupt möglich?).

2: Einschränkungen machen kreativ…

Wenn ich mal nicht weiterkomme, hilft mir diese Technik: Wie würde ich das Problem lösen, wenn ich nur bestimmte Komponenten zur Verfügung hätte? Zum Beispiel: Kein Spielbrett? Keine Spielsteine? Nur eine bestimmte Anzahl Karten? Was wäre, wenn die Anleitung auf eine Seite passen müsste? So wird man gezwungen, neue Wege zu finden und Altbekanntes in Frage zu stellen. Was ist eigentlich die Essenz eines Deckbuilding-Spiels und funktioniert das vielleicht auch, wenn man das gesamte Deck auf der Hand hat? Bei Thalara habe ich diese Einschränkungen auf die Spitze getrieben: Fast alle Komponenten habe ich mit der Zeit rausgeworfen, um das Wesentliche herauszudestillieren.

3: …und schränken ein

Ein Spiel aus nur 18 Karten? Interessante Herausforderung, aber nicht immer hilfreich.

Das ist eigentlich offensichtlich: Selbst auferlegte Einschränkungen kurbeln nicht nur die Kreativität an, sie erschweren die Lösungsfindung auch enorm. Deswegen ist es sinnvoll, nicht zwanghaft an jeder Einschränkung festzuhalten. Natürlich ist es super, wenn ein Spiel ganz ohne Ressourcen auskommt und dabei dieselbe Wirkung entfaltet. Aber wenn das Spiel besser wird, wenn man Ressourcen hinzufügt: Go for it! Die Einschränkung darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Am Ende wollen wir ein super Spiel spielen, egal was dafür nötig ist. Bei Thalara hatte ich mir fest vorgenommen, höchstens 36 Karten zu verwenden. Das hatte neben der kreativen Wirkung auch einen ganz praktischen Grund: Ich wollte die Produktionskosten niedrig halten. Gerade bei einer kleinen Auflage ein wichtiger Punkt. Und ja, ich hatte eine wunderbare Lösung, die mit 36 Karten auskommt. Aber: Am Ende wurde das Spiel mit mehr Karten eben noch besser.

4: Perfektion steht im Weg

Ein Spiel, das niemals fertig wird, nutzt niemandem etwas. Und das Geheimnis ist: Es gibt immer etwas, das man verbessern könnte. Ich weiß nicht, ob ich mit meinem Perfektionismus da einfach ein Extremfall bin oder ob es allen so geht, aber: Egal wie zufrieden ich heute mit meinen Ideen bin, morgen fällt mir ein, was ich noch besser machen könnte. Und dann passt wieder nichts mehr zusammen und ich fange von vorne an. Bei Thalara musste ich irgendwann lernen, dass kleine Verbesserungen völlig in Ordnung sind, aber man nicht immer wieder bei null anfangen darf. Dabei hilft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und eine großartige neue Idee gegebenenfalls einfach für das nächste Spiel aufzuheben. Mir hilft es, all diese Ideen einfach aufzuschreiben. Sie sind ja nicht verloren!

5: Testspieler liefern Probleme, keine Lösungen

Testspieler sind unendlich wertvoll – aber nur, wenn man die Ergebnisse zu nutzen weiß.
(Bremer Spiele-Tage 2020, Wredespiele)

Manche Testspieler wissen ziemlich genau, was sie an einem Spiel stört. Vielleicht dauert das Spiel zu lange, vielleicht ist es zu kompliziert, vielleicht ist es unfair. Und bestimmt haben sie auch ganz viele Ideen, wie man die Probleme lösen könnte. Meistens sind das die naheliegendsten Lösungen: Wenn ein Spiel zu lange dauert, dann müssen eben weniger Karten in den Ziehstapel. Aber die einfachen Lösungen sind selten die besten. Besser ist es, sich die Kritik der Testspieler erstmal in Ruhe anzuhören, und dann darüber nachzudenken, wo der Kern des Problems liegt. Vielleicht dauert das Spiel zu lange, weil die Entscheidungen nicht intuitiv sind? Sind es wirklich zu viele Runden oder dauern die einzelnen Spielzüge zu lange? Und wenn du dann eine Lösung hast: Teste sie erstmal für dich allein, bevor du sie wieder auf die Tester loslässt. Bei Thalara habe ich oft den Fehler gemacht, als Antwort auf berechtigte Kritik laut zu denken und meine Lösungsansätze zu diskutieren. Aber wenn sich Tester gerade an eine bestimmte Spielregel gewöhnt haben, fällt es manchmal schwer, sich gedanklich davon zu lösen. Dann kann es sinnvoll sein, erstmal mit einer anderen, unvoreingenommenen Testgruppe weiterzumachen. Oh, ja, und den gleichen Fehler machen wir Autoren natürlich genauso, wenn wir ein Spielelement liebgewonnen haben. Das bringt uns direkt zum nächsten Punkt:

6: Streamlining ist wichtig

Diese eine Spielregel, die das Spiel am Anfang so besonders gemacht hat, die kann auf keinen Fall verschwinden. Bei Thalara gab es lange, sehr lange, einen “Farbjoker”. Er hatte eine sehr niedrige Stärke, konnte dafür aber als jede Farbe eingesetzt werden. Der Farbjoker war total super: Er eröffnete eine neue strategische Option, machte das Spiel weniger unberechenbar, und die Testspieler liebten ihn. Es dauerte wirklich lange und erforderte eine Menge Überwindung, die Karte aus dem Spiel zu entfernen. Und tatsächlich: Das Spiel hatte sich seit der Erfindung des Farbjokers so stark verändert, dass er gar nicht mehr nötig war. Und wenn ein Spielelement das Spiel nicht wesentlich besser macht, dann gibt es eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Wie sehr verkompliziert das Element das Spiel und wie viel besser wird das Spiel dadurch? Der Farbjoker verlängerte die Spielregeln um einen ganzen Absatz, bei nahezu gleichbleibendem Spielspaß. Schlimmer noch: Der Farbjoker führte immer wieder zu Fragen und Unklarheiten bei einer ganzen Reihe von Zaubersprüchen. Zählt er zum Beispiel immer als alle Farben gleichzeitig, selbst wenn ich das gerade gar nicht gebrauchen kann? Solche Elemente sind ja auch nicht verloren: In einer gut durchdachten Erweiterung könnte der Mechanismus wieder einen Platz finden, im Basisspiel hat er aber nichts verloren.

7: Balancing ist nie objektiv

Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu verstehen: Wie kann Balancing denn nicht objektiv sein? Wenn ein Spielcharakter besser ist als ein anderer, wenn eine Fähigkeit oder eine Karte besser ist als eine andere, dann ist das ein Balancingproblem. Und wenn zwei Spielelemente genau gleich stark sind, dann ist das Balancing doch objektiv gut, oder nicht? So einfach ist es nicht. Auf Spielemessen, bei denen die Tester oft nur eine oder zwei Runden spielen, wurde das Balancing von Thalara immer wieder kritisiert. Da hilft es auch wenig, wenn ich den Testern glaubhaft versichern kann, dass man mit jedem Charakter gegen jeden anderen Charakter zuverlässig gewinnen kann, solange man besser als der Gegner spielt. Was zählt, ist das gefühlte Balancing. Und die Herausforderung liegt darin, Anfängern und Profis gleichermaßen das Gefühl zu vermitteln, dass das Spiel und seine Teile gut austariert sind. Das ist natürlich nicht immer machbar, manche Feinheiten kann man in den ersten Runden nicht voll durchblicken. Dann ist es wichtig, dass Anfänger zumindest lang genug am Ball bleiben, um eine Gefühl für die Tricks zu entwickeln. Und damit kommen wir fließend zum letzten Punkt:

Myrja gegen Kandhran: Wenn beide Spieler gleich gut sind, gewinnen beide Charaktere ungefähr gleich oft. Beim allerersten Spiel kann es sich trotzdem unfair anfühlen. (Thalara, Wredespiele)

8: Der Spaß steht im Vordergrund

Wir haben alle unterschiedliche Erwartungen an ein Spiel. Manche wollen eine strategische Herausforderung, die sich im stundenlangen Konflikt langsam aufbaut. Manche wollen ein kurzes, unberechenbares Chaos. Eine lustige Partie mit netten Menschen, bei der man sich gut unterhalten kann. Insofern gibt es an dieser Stelle natürlich keinen allgemeingültigen Rat. Aber eine Sache habe ich bei der Entwicklung von Thalara doch gelernt: Wenn es keinen Spaß macht, ist es am Ende auch nichts wert. Wie viel Spaß wir beim Spielen haben, hängt auch wieder von ganz vielen Faktoren ab, die für jeden unterschiedlich gewichtet sind: Interessante Entscheidungen, erlebte Selbstwirksamkeit, Spannung oder überraschende Aha-Momente. Ein wichtiger Faktor ist aber oft die Lernkurve. Das heißt nicht, dass das Spiel einfach sein muss und genauso wenig, dass es unendlich viel Raum für taktische Verbesserung geben muss. Aber das Spiel muss an jedem Punkt des Prozesses Spaß machen: Beim allerersten Spiel genau wie bei Runde 1000. “Easy to learn, hard to master”, wird das oft genannt. Ich formuliere es lieber so: Fun to learn, fun to master. Das Spiel sollte auch Spaß machen, bevor ich die Texte von 200 verschiedenen Karten auswendig gelernt habe. Und es sollte auch dann noch Spaß machen, wenn ich das Spiel in- und auswendig kenne. Bei Thalara habe ich versucht, genau das zu erreichen. Ich hoffe, es ist mir gelungen – wenigstens für einen Teil von euch.

Wenn du mehr über den Entstehungsprozess von Thalara erfahren möchtest, lies doch auch mein Entwicklertagebuch. Auf Thalara.de gibt es mehr Infos über das Spiel und eine kostenlose Version zum Ausprobieren! Was sind deine wichtigsten „Lessons learned“? Fällt dir noch etwas zu den genannten Punkten ein?